Im Folgenden die Prozesserklärung eines Angeklagten im Prozess wegen der Besetzung der Gilgenmatten 28, die heute verlesen wurde. Wir haben die Erklärung netterweise zur Veröffentlichung bekommen.
Ich werde nun eine politische Erklärung zum Prozess abgeben. Werden im Folgenden Personenbezeichnungen auftauchen, die nicht geschlechtsneutral sind werde ich dies durch eine kurze Pause und den Zusatz *Innen gendern. Damit sollen alle sozialen Geschlechter und Geschlechtsidentitäten abgebildet werden. Auch die, die sich keinem der beiden Pole der binären hetero-sexistischen Norm zuordnen lassen, beziehungsweise außerhalb dieser Zuordnung stehen.
Im Haus in den Gilgenmatten 28 um das es heute hier geht fand ein Konzert von David Rovics statt. David Rovics ist ein US-amerikanischer Liedermacher. Eines seiner Lieder heißt „Landlord“. Es geht um die Abgaben der Bauern im frühen New York. Nur weil ein Mann ein Stück Land besaß bekam der 30% des Ertrages. David Rovics fragt „Who gave you the right to be a landlord? To live a life of ease while others toil? Who gave you the right to be a rich man? While the rest of us pay you so that we can work this soil?“ (Wer gab dir das Recht ein Landbesitzer zu sein? Ein Leben in Bequemlichkeit zu leben, während andere schuften? Wer gab die das recht reich zu sein? Während der Rest von uns bezahlt damit wir diesen Boden bearbeiten können?).
Und so können wir uns auch fragen, warum hat Dr. Anja Hauri das Recht ein leerstehendes Haus zu besitzen und andere nicht. Und warum stehen nun wir sechs und sieben weitere die folgen werden vor Gericht? Warum verlangt das Gesetz von uns uns hierfür zu rechtfertigen und nicht Dr. Hauri?
Eigentlich steht Zweckentfremdung von Wohnraum als Ordnungswidrigkeit unter Strafe. Zweckentfremdung ist das leerstehen Lassen von Wohnraum oder der Umbau zu gewerblich nutzbaren Flächen, also Ferienwohnungen oder Büros. Das womit die alten „Bewohner*innen“ verdrängt werden. In Baden-Württemberg existiert seit dem 19. Dezember 2013 das „Gesetz über die Zweckentfremdung von Wohnraum“. Darin wird Zweckentfremdung definiert für Wohnraum, der „länger als sechs Monate leer steht, abgerissen, überwiegend für gewerbliche oder berufliche Zwecke verwendet oder überlassen oder baulich derart verändert oder in einer Weise genutzt wird, dass er für Wohnzwecke nicht mehr geeignet ist. Auch eine nicht nur vorübergehend gewerbliche oder gewerblich veranlasste Nutzung für Zwecke der Fremdenbeherbergung (Ferienwohnungen) gilt als Zweckentfremdung. Ausnahmen von der Genehmigungspflicht einer Zweckentfremdung, so dass es keiner – in der Regel gebührenpflichtigen – Genehmigung bedarf, sind in besonderen Fällen vorgesehen, z. B. bei längerem, durch Modernisierungen bedingtem Leerstand.“ Ob darunter allerdings der lange Leerstand der Gilgenmatten 28 fiel ist unklar.
Viel eher gab es wohl Probleme mit Baugenehmigungen, konkreter Umbau ist nicht erkennbar. Anscheinend lieber das als den Aufwand zu betreiben, Menschen ein zu Hause zu bieten. Gerade in Freiburg hätten sicher zahlreiche Menschen ein Zimmer, auch nur für wenige Jahre und in nicht luxuriösestem Zustand dankend angenommen. Laut Gesetz darf eine Zweckentfremdung dann erfolgen, wenn „Ausgleichsmaßnahmen in verlässlicher und angemessener Weise Rechnung getragen wird; dies kann durch Bereitstellung von Ersatzwohnraum oder durch eine Ausgleichszahlung geschehen.“ Dies ist meiner Meinung und Wissen nach hier nicht erfolgt.
In Freiburg gilt das Zweckentfremdungsverbot seit dem 1. Februar 2014. Die Stadt kann Bußgelder bis zu 50.000€ verhängen. Eigentlich liegt hier gleich doppelte Zweckentfremdung vor: Ein Leerstand von über 6 Monaten (soweit ich weiß waren es im Oktober bereits über vier Jahre) und der Abriss. Ich möchte mir kein Urteil über die juristischen Spitzfindigkeiten erlauben, finde jedoch das hier etwas schief läuft, unabhängig des Gesetzes. Auch die Badische Zeitung titelte am 13.Juli 2018 „Freiburgs Kampf gegen illegale Ferienwohnungen zündet nicht“.
Doch wie so oft, wenn staatliche Institutionen und Gesetze an Grenzen stoßen, haben nun einige Menschen die Beendigung der Zweckentfremdung wohl selbst in die Hand genommen und ein Konzert im Haus veranstaltet. Auf einmal war das Haus wieder belebt! Doch Orte der Kultur haben es in Freiburg wohl nicht leicht. Clubs wie das White Rabbit beispielsweise müssen schließen wegen hoher Mieten und Ärger mit dem Vermieter und in Weingarten lief es leider nicht anders. Im nu hatte das brutale Einschreiten der Polizei jegliche Kultur beendet.
Wer wird jetzt aber kriminalisiert?
Kriminalisiert werden wir und sieben weitere Menschen, sowie zahlreiche weitere im Zuge der Hausbesetzungen der letzten Jahre: Kulturschaffende und Kulturgenießende, Menschen die versucht haben etwas zu verändern und etwas voranzubringen.
Die Eigentümerin des Hauses ist fein raus. Man könnte behaupten sie habe mit der Option einer Besetzung und der langen Leerstandszeit gerechnet. Bereits 2017, als in Freiburg keine Besetzungskampagne in Sicht war, unterzeichnete sie den Strafantrag für den Fall einer etwaigen Hausbesetzung. Wohnraum zugänglich machen wollen oder Verhandlungsbereitschaft sieht anders aus!
Dabei ist das Thema Wohnraum äußerst akut.
Gerade in Freiburg sind die Mieten laut wohnungsbörse.net seit 2011 um 32-49% gestiegen, je nach Größe der Wohnung. Die Löhne stiegen im selben Zeitraum mit 18% deutlich langsamer.
Auch die Hans-Böckler-Stiftung zeigt in einer Studie auf, dass in Baden-Württemberg die Mietbelastung für viele Haushalte zu hoch ist. Die Belastung durch die Miete liegt häufig über 30% des Einkommens, also über dem Wert, ab dem dies als belastend bewertet wird.
Ich glaube diese Problematik wurde bereits vielfach diskutiert und analysiert. Und alle, die schon mal in Freiburg oder auch anders wo eine Wohnung gesucht haben oder Miete zahlen, wissen worum es geht. Leider wird dieses Problem oft erkannt, aber vor allem von Seiten der Politik oft nur unzureichend und viel zu oberflächlich angegangen.
Menschen, die jetzt dieser Katastrophe auf dem Wohnungsmarkt widersprechen und sich für etwas anderes einsetzen werden kriminalisiert. Das legt auch der neue Verfassungsschutzbericht für Baden-Württemberg nahe. Menschen, die gegen Gentrifizierung einstehen, die neue Freiräume, Kulturorte und Wohnraum schaffen, werden vom Verfassungsschutz als „linksextremistisch“ eingestuft. Diese Menschen, die sich für andere und das Gemeinwohl stark machen werden vom Verfassungsschutz in seinem Bericht wie folgt betitelt: „Mit dem Versuch, in der bürgerlich geprägten Klimabewegung Fuß zu fassen, und mit dem Aufgreifen des Themas „Antigentrifizierung“ wollten Linksextremisten ihre politische Akzeptanz in der Gesellschaft vorantreiben“. Gehört der Verfassungsschutz zu den Leugner*innenn des Klimawandels oder warum werden notwendige Handlungen und Äußerungen derart diffamiert?
Hausbesetzungen und Kampf gegen Gentrifizierung in Baden-Württemberg füllen ganze drei Seiten des Verfassungsschutzberichts, Freiburg alleine nocheinmal soviele. Die Badische Zeitung ist dankbar auf diesen Zug aufgesprungen um massiv gegen die linke Szene in Freiburg und die KTS zu hetzen. Zum Pech für sie machte die Mehrheit der Gemeinderät*innen nicht mit, sondern bekannte sich klar zur KTS und der für alles verantwortlich gemachten „Antifa“. Ein Leserbrief in der BZ fragte nachdem diese deutlich den Fokus auf „linksextremistische Gewalt“ wie Hausbesetzungen und maximal Sachbeschädigungen gerichtet hatte, statt auf rassistische, menschenverachtende, verletzende und oft tödliche rechtsextremistische Gewalt und eine Distanzierung von Gemeinderatsfraktionen von der „Antifa“ forderte, „Sind nicht diejenigen bedrohlich, die sich vom Antifaschismus distanzieren?“
Jedoch ist der Begriff „Extremismus“ des Verfassungsschutzes sowie die Gleichstellung von Links- und Rechtsextremismus im Sinne der Hufeisentheorie äußerst fragwürdig. Oder lassen sich besetzte Häuser und Sachbeschädigungen mit Menschenleben vergleichen?
Der Stadtrat Michael Moos der „Linken Liste“ aus Freiburg unterstellt dem Verfassungsschutz im Interview, „Der Verfassungsschutz macht da gezielt Politik“.
Er unterstellt dem Verfassungsschutz massiv gegen die KTS zu agitieren um die Förderung der Stadt für diese zu stoppen.
Doch welche Tendenzen in den deutschen Sicherheitsbehörden vertreten sind, weiß ja auch SPD-Vorsitzende Saskia Esken.
Hier soll es aber aber nur bedingt um den Verfassungsschutz gehen. Viel eher stellt sich die Frage, was Kriminalität eigentlich ist und wie sie definiert und genutzt wird.
Michel Foucualt sagt dazu in seinem bekannten Werk „Überwachen und Strafen“: „Illegalismus von Gütern ist von dem der Rechte getrennt. Eine Teilung, die eine Gegenüberstellung der Klassen wiederherstellt, denn einerseits ist der Illegalismus, der den Arbeiterklassen am zugänglichsten ist, derjenige der Güter – gewaltsamer Transfer von Eigentum; und auf der anderen Seite beansprucht der gehobene Mittelstand, er, für sich, den Illegalismus der Rechte: die Möglichkeit, seine eigenen Regelungen und eigene Gesetze zurechtzudrehen; sich einen enormen Sektor des wirtschaftlichen Kreislaufs durch ein Spiel zu sichern, das sich im Rahmen der Gesetzgebung bewegt – durch Stillhalten bei vorgesehenem Rahmen, oder durch das Tolerieren von Tatsachen. Und diese große Umverteilung des Illegalismus zeigt sich sogar in einem Spezialgebiet des Justizkreislaufs: für den Illegalismus der Güter – für Diebstahl – die gewöhnlichen Gerichte und Strafe; für den Illegalismus der Rechte – Betrug, Steuerhinterziehung, unregelmäßigen kommerziellen Betrieb – die Sondergerichtsbarkeit mit Transaktionen, gütlicher Einigung, Verminderung der Geldstrafen, etc. Der gehobene Mittelstand beansprucht die kreative Domäne des Illegalismus der Rechte für sich.
Michel Foucault – Überwachen und Strafen, S. 172, französische Ausgabe
Armen Menschen bleibt also nur der Diebstahl oder ähnliche Delikte, dieser ist vergleichsweise stark kriminalisiert um das Privateigentum und damit die Grundpfeiler der Wirtschaftsordnung zu erhalten. Der Illegalismus im Sinne der besitzenden Schicht ist hingegen weniger stark sanktioniert und wird sich „hingebogen“.
Dies spiegelt sich auch im deutschen Strafrecht wieder. Die besitzenden Menschen, die zum Beispiel Häuser leerstehen lassen sind geschützt. Menschen, die das sichtbar machen, werden verurteilt. Und nicht nur dieser politische Widerstand ist kriminalisiert. Auch werden kleinere Eigentumsdelikte wie Diebstähle oder Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz viel eher geahndet und enden vor allem öfter in Haftstrafen als die Delikte von reichen Menschen.
Manager*innen, die hunderte Leute entlassen und Milliarden in den Sand setzen, Steuerhinterzieher*innen, die der Gesellschaft Millionen und Milliarden vorenthalten, Energiekonzerne, die durch ihre Profitgier die ganze Welt in den Abgrund reißen, Waffenhersteller*innen, die vom Töten profitieren, haben meist wenig zu befürchten.
Kriminalität wird von Diskursen in der Gesellschaft konstruiert und ist damit ebenso wie die Gesetze ein Herrschaftsinstrument, ein Mittel, die bestehende Ordnung aufrechtzuerhalten. Sie ist keinesfalls gegeben und rein moralischer Natur. Viel mehr spiegelt die Definition der Kriminalität immer die Gesellschaft wieder und wird von politischen Interessen genutzt. Warum sonst sollte Verhalten, das Millionen von Menschen schadet und die ganze Erde mitsamt ihrem Ökosystem bedroht unter dem Schutz des Gesetzes stehen?
Christoph Willms beschreibt in seinem Text „Kriminologie und Kriminalitätskonstruktion“, wie die Konstruktion von Kriminalität dazu dient, Armut und arme Menschen zu stigmatisieren. Die so betitelten Armen werden für ihre Lage selbst verantwortlich gemacht und die Begriffe „arm“ und „kriminell“ verknüpft. Wirtschaftlich besser gestellten Menschen wird dadurch die Möglichkeit gegeben Bedenken bezüglich der Berechtigung ihrer Stellung und der sozialen Lage in der Gesellschaft zu verdrängen.
Man könnte mit den Worten Michel Foucaults sagen, das das Strafsystem die Gesellschaft disziplinieren und normalisieren soll und abweichende Handlungen bestraft. So schafft sich die herrschende Ordnung Individuen, die durch Erziehung, Sanktionen, Normen, Gesetze usw. diszipliniert sind, also sowohl normiert, normalisiert als auch in einer bestimmten Funktion diszipliniert und somit leistungsfähig gemacht sind. Eben die Sanktionierung sehen wir hier. Ein Widersprechen der gegenwärtigen Verhältnisse wird sanktioniert um weiteres solches Verhalten zu unterbinden, sowohl bei uns angeklagten Personen, als auch bei anderen Menschen, durch Abschreckung.
Leerstand zu besetzen heißt Eigentumsverhältnisse zu hinterfragen und den Besitz an Wohnraum zur Profitmehrung in Frage zu stellen. Doch diese Frage stellt sehr viel in unserer Gesellschaft, wenn nicht sogar unser ganzes Wirtschaftssystem, das genau auf diesem privaten Besitz und Ungleichheit aufbaut, in Frage.
Was ist wenn genau deshalb eine Abweichung von der Norm nötig ist? Weil wir andernfalls alles gegen die Wand fahren? Wenn es einfach immer wieder nötig ist alles zu hinterfragen? Wie wir leben. Wie wir arbeiten. Wie wir konsumieren. Wie wir uns Mitmenschen gegenüber verhalten. Wenn es mehr solcher Handlungen bedarf, die gegen die Normen der „disziplinierten Gesellschaft“ verstoßen?
Was ist eigentlich der Hausfriedensbruch bei einem Haus, das kurz darauf abgerissen wird?
Braucht es nicht mehr Leute, die ein seit vier Jahren leerstehendes Haus wieder zum Leben erwecken?